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Fußball im Nachthemd

Für Frauenfußball hab ich nichts als Verachtung übrig – gehabt. Und das kam so: In meinen Kinder- und Jugendtagen bin ich in den Ferien ins Waldheim gegangen. Dabei durften wir einmal pro Sommer gegen unsere Betreuer, die so genannten „Onkel“, Fußball spielen. Neben dem samstäglichen Eis ist das zumindest für uns Buben der Höhepunkt einer jeden Freizeit gewesen. Bis auf das eine und Gott sei Dank einzige Mal. Als die blöden „Onkel“ auf die Idee gekommen sind, auch „Tanten“ bei sich mitspielen zu lassen. Und um die Kränkung für uns noch schlimmer zu machen: Zusammen sind sie damals in Schlafanzügen und Nachthemden gegen uns angetreten. Was „Onkel“ und „Tanten“ offensichtlich ungemein witzig fanden. Uns aber haben sie damit den Sommer verdorben. Und mir zunächst einmal und eigentlich für immer die Lust am Frauenfußball genommen.

Und jetzt soll ich, weil die Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Deutschland stattfindet, sogar darüber schreiben. Ob das wohl gut geht? Jedenfalls habe ich vom Frauenfußball keine Ahnung – von seiner Gegenwart nicht und noch weniger von seiner Vergangenheit. Ja, in Sachen Männer-WM, da könnte ich glänzen! Und hätte ab 1962 eine Erinnerung nach der andern parat. Wie bei eben dieser Weltmeisterschaft in Chile Wolfgang Fahrian von der TSG Ulm 1846, damals mein Idol, deutscher Torwart war. Wie sich 1966 ein russischer Linienrichter und Bundespräsident Heinrich Lübke lächerlich gemacht haben, als sie beim Londoner „Tor von Wembley“ als einzige Nichtengländer auf der ganzen Welt den Ball hinter der Linie sahen. Wie sich 1970 in Mexiko Franz Beckenbauer, Uwe Seeler und Gerd Müller an den Engländern gerächt haben, nur um dann im „Jahrhundertspiel“ gegen Italien 3:4 nach Verlängerung den Kürzeren zu ziehen. Und so weiter und so fort.

Übrigens und wenn es irgend jemand so will, kann ich mich vielleicht auch daran noch erinnern, wie sagen wir mal 1965 in der C-Klasse Münsingen – eine Kreisliga B hat’s in jenen Jahren noch nicht gegeben – Apfelstetten gegen Dapfen gespielt hat. An Dapfen hat mir der Name gefallen und dass sie am Ende der Saison meist null Punkte gehabt haben. Und Apfelstetten hatte mit Ausnahme von Glems bei Metzingen den geilsten Fußballplatz, den ich kenne: mit einer Senke in der Mitte und rechts und links davon und entsprechend erhöht die beiden Tore. Während Glems unterhalb der Skischanze kickte, eine von vier Eckfahnen auf der andern Seite einer kleinen Straße lag und es dahinter gleich ins Tal runter ging. Wahrscheinlich sind da unten immer noch ein paar Bälle.

Männerfußball, wie er leibt und lebt! Aber Fußball von und mit Frauen? Wie gesagt, ich habe keine Ahnung davon und deshalb meine „Kabinenpredigt“ für eine große Tageszeitung so angefangen:

Am Anfang war der Mann. Aber: „Als Gott den Mann erschuf, übte sie noch.“ (von Unbekannt) Wer Ohren hat zu hören, der höre! Und lasse sich auch als Männerfußballfan von der Weltmeisterschaft der Frauen begeistern! Denn: „Außer Blumen sind Frauen das schönste Geschenk, das Gott der Welt gemacht hat.“ (Christian Dior)

Ehrlich gesagt liest sich das so, als hätte ich mit mir selber einen Mannschaftskreis gebildet, um mich auf ein Spiel einzuschwören, bei dem die Niederlage nur eine Frage der Höhe ist. Aber soll ich deshalb den deutschen Frauen – bei den Männern würde ich „uns“ sagen – etwa ein frühes Ausscheiden wünschen, bloß damit ich nicht weiter schreiben muss? Das sei ferne! Weil ein bisschen Nationalstolz hab ich auch in diesem Fall. Und weil ich’s meinen jüngeren Kollegen in der Redaktion zeigen will. Die sind nämlich militante Frauenfußballmuffel und Chauvis par excellence. Unsereins ist darüber längst hinweg – oder tut wenigstens so die nächsten drei Wochen.

Und damit Abpfiff und erst mal für Deutschland gegen Kanada, Nigeria und Frankreich Spielerinnennamen auswendig lernen! Angerer, Peter, Bartusiak, Krahn, Bresonik … Und Kim Kulig aus Poltringen. Und Celia Okoyino da Mbabi aus, ja tatsächlich, Bad Neuenahr. „… mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein / werden wir Weltmeister sein!“ Trotzdem: Das mit den „Tanten“ damals und dem Fußball im Nachthemd war eine saublöde Idee, oder etwa nicht?

Das meint Koch. Und was meinen Sie?

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Ich seh‘ den vierten Stern schon funkeln*

*Dieser Beitrag ist ursprünglich für die Rubrik „Die WM-Kolumne“ der Stuttgarter Nachrichten vom 5. Juli 2010 geschrieben.

1954, im Alter von einem Jahr, bin ich zum ersten Mal Weltmeister geworden. Allerdings hab’ ich vom Wunder von Bern und meinem Stern No. 1 auf dem Trikot nichts mitbekommen. Was auch 1958 nicht anders war: Die Schlacht von Göteborg, als wir im Halbfinale gegen Schweden vom Schiri verpfiffen worden sind, hat man mir erst später geschildert. Seit 1962 aber bin ich mittendrin statt nur dabei.

Wobei ich eigentlich mit dieser Frage hier beginnen wollte: An was merkt ein Mann, dass er in die Jahre kommt? Daran, dass ihm im Zug schon mal ein Sitzplatz angeboten wird? Oder daran, dass die Blicke schöner Frauen nicht mehr ihm, sondern dem Sohn gelten? Ja, daran auch, vor allem aber an einem: an der Zahl von Fußball-Weltmeisterschaften, die er auf dem Buckel hat. 15 sind’s bei mir – Südafrika inklusive. Der Jüngste kann ich also nicht mehr sein.

Zurück ins Jahr 1962, als in Chile mein erstes Idol im deutschen Tor gestanden hat: Wolfgang Fahrian von der TSG Ulm 1846. Und als der Radioreporter mir einen eigentlich unaussprechlichen Namen für immer eingeprägt hat: Horst Szymaniak. Vergangenes Jahr ist „Schimmi“ gestorben. Gott hab ihn selig!

Natürlich gab’s in meiner Familie auch 1966 noch keinen Fernsehapparat. In der ganzen Nachbarschaft besaß vielmehr nur einer so ein Wunderding. Bei ihm durfte ich das Endspiel England gegen Deutschland gucken. Ein Dutzend gestandener Männer war ebenfalls mit dabei. Ich hatte Mores vor diesen Bauern und hab’ noch nicht mal beim Wembley-Tor einen Mucks gemacht. Was aber auch nicht nötig war. Wäre der russische Linienrichter mit in der Stube gewesen, sie hätten ihn glatt umgemäht.

Dass meine Mutter 1970 angefangen hat, sich für Fußball zu interessieren, war der Tiefpunkt der WM von Mexiko. Die Dame bekam vor der Glotze des Onkels Sprechverbot – unter anderem, weil sie aus Versehen für Bulgarien war. Der traurige Höhepunkt: Das 3:4 nach Verlängerung im Semifinale gegen Italien. Es war nach Mitternacht, als meine Kumpels und ich fassungslos nach draußen gegangen sind. Jungen weinen nicht, und niemand sollte die Tränen der Enttäuschung sehen.

1974 mein zweiter Stern. Trotzdem ist das Münchner Endspiel gegen die Niederlande ein Horror gewesen: Vor dem ersten eigenen Fernsehgerät hatte sich die ganze Familie versammelt, darunter gefühlte zwei Dutzend Kinder. Die hat alles andere interessiert, nur nicht unser 2:1. Ich weiß noch gut, wie ich die zweite Halbzeit aus Protest von unter dem Esstisch aus mitverfolgt habe.

1978, 1982, 1986 und so weiter – nein, alle meine 15 Weltmeisterschaften krieg’ ich hier nicht unter. Deshalb kurz vor Schluss nur noch dies: 1990 hab’ ich zusammen mit einem Pfarrerskollegen Deutschland in Rom Argentinien besiegen und uns und mich erneut Weltmeister werden und mit einem dritten Stern dekoriert sehen. Irgendwann ist der Kollege Bischof geworden. Dabei hat er vom Fußball weniger Ahnung als ich und Schalke-Fan ist er obendrein.

„’54, ’74, ’90, 2010“ – und ich bin, ach was, weder alt noch weise noch leise. Im Gegenteil: Fußball hält jung. Und also bin ich jetzt dann mal weg, und zwar ohne Sohn. Wär’ doch gelacht, wenn die Frauen sich nicht auch noch nach mir umdrehen würden! Oder soll ich’s vielleicht doch lieber mit Bischof versuchen? So oder so: Das Leben ist schön, und der Fußball gehört dazu. Was aber immer noch passiert, auch und gerade in Südafrika: Das 4:0 gegen Argentinien, die drei Sterne und meine 15 Weltmeisterschaften kann mir keiner nehmen. Wobei ich gegen einen vierten Stern natürlich nichts einzuwenden hätte. Im Gegenteil: Ich seh’ ihn schon funkeln am Himmel über Spanien.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?

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